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Estland – Schweiz: das sind die wichtigsten Unterschiede zwischen den E-Voting-Pionieren

In der Schweiz ist E-Voting in vier Kantonen möglich. Allerdings erst für einen kleinen Teil der Stimmberechtigten. Estland ermöglicht bereits seit 18 Jahren allen Stimmberechtigten elektronisches Wählen und Abstimmen. 2023 sind an den Parlamentswahlen in Estland erstmals mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen elektronisch eingegangen. Auf der Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten gibt uns Arne Koitmäe, Leiter des staatlichen Wahlbüros Estlands, Einblick in das estnische E-Voting. 

Estland ist eine Vorreiterin im Bereich Digitalisierung. Regelmässig besetzt das Land die vordersten Ränge im «E-Government-Benchmark» der europäischen Kommission. Beispielhaft dafür: Bereits seit 20 Jahren vergibt der kleine baltische Staat seinen 1.3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern eine staatliche digitale Identität.

 

Die Schweiz ist im E-Government weniger gut aufgestellt. Dieselbe EU-Studie weist den hiesigen Behörden Aufholbedarf nach, was ihre digitalen Angebote und Prozesse betrifft: Die Schweiz landete in der aktuellen Untersuchung auf Platz 28 von 35.

 

Im E-Voting gehört die Schweiz jedoch wie Estland international zu den Vorreitern. Bereits im Jahr 2004 starteten erste Kantone Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe. Im Wahlherbst 2023 kam es zu einer erfolgreichen Premiere: An den vergangenen eidgenössischen Wahlen war mit dem System der Schweizerischen Post erstmals vollständig verifizierbares E-Voting möglich. Insgesamt 4480 Stimmberechtigte in den Kantonen Basel-Stadt. St.Gallen und Thurgau haben elektronisch gewählt, darunter vor allem Auslandschweizerinnen und -schweizer und wenige in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte. Anteilsmässig heisst das: 19 Prozent der Stimmberechtigten, die zu E-Voting zugelassen waren, haben auch elektronisch gewählt. Im Vergleich dazu haben in Estland, wo alle Stimmberechtigten E-Voting nutzen können, bei den Parlamentswahlen im Jahr 2023 mehr als 300’000 Personen ihre Stimmen digital abgegeben. Damit waren erstmals mehr als die Hälfte der ausgezählten Stimmen auf digitalem Weg eingegangen.

 

Wie hat Estland diese breite Stimmbeteiligung über E-Voting erreicht? Arne Koitmäe, Leiter des staatlichen Wahlbüros Estlands, erklärt am Telefon: «Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer liegt sicher im Vertrauen ins System, das über die Jahre gewachsen ist. Aber sicher hat die Bevölkerung auch bemerkt, dass es viel bequemer ist, online abzustimmen, als am Abstimmungstag ins Wahlbüro zu gehen. Und nicht zuletzt: In Estland sind viele staatliche Dienste digitalisiert. Die Menschen in Estland haben sich daran gewöhnt, Onlinedienste des Staates zu nutzen.»

 

 

Arne-Koitmäe


Arne Koitmäe, Leiter des staatlichen Wahlbüros Estlands

 

 

 

Nicht viele Länder bieten den elektronischen Abstimmungskanal an, Estland und die Schweiz sind beide Pioniere auf diesem Gebiet. Gleichen sich das baltische E-Voting und das helvetische Modell? Nachstehend ziehen wir einen Vergleich in den wichtigsten Punkten:

 

 

  1. E-Voting-Nutzerinnen und Nutzer: in Estland steht es allen Stimmberechtigten frei, ob sie elektronisch wählen oder abstimmen wollen oder ihren Stimmzettel am Wahltag in die Urne einwerfen. In der Schweiz sind gemäss rechtlichen Grundlagen im Versuchsbetrieb maximal 10 % der Stimmberechtigten zur Nutzung von E-Voting zugelassen.

  2. Identifikation: in Estland loggen sich die Stimmberechtigten mit ihrer E-ID auf der Abstimmungsplattform ein. In der Schweiz erfolgt die Anmeldung mit einem individuellen Code, der auf dem Stimmrechtsausweis zu finden ist und per Post verschickt wird und zusätzlich– je nach Kanton – der Eingabe des Geburtsjahrs oder Geburtsdatums.

  3. Rechtliche Grundlagen: Nachdem über 300 erfolgreiche Versuche mit verschiedenen Systemen stattgefunden hatten, kam es in der Schweiz 2019 aus Sicherheitsbedenken zu einem Marschhalt. Der Bund erhöhte in der Folge die Anforderungen an E-Voting-Systeme. Diese erhalten höhere technische Vorgaben an Systeme. Auch in Estland gibt es rechtliche Grundlagen, darin sind jedoch keine technischen Details definiert.

  4. Sicherheitsprüfung: In beiden Ländern ist der Programmiercode des Systems offengelegt. Fachleute können das System so prüfen und Schwachstellen melden. In der Schweiz ist es eine rechtliche Vorgabe, dass erfolgreiche Melderinnen und Melder von Befunden eine Belohnung erhalten. Die Post als Systemanbieterin führt hierfür ein sogenanntes Bug-Bounty-Programm mit Belohnungen von bis zu 250'000 Franken pro Befund. Estland führt kein solches Belohnungsprogramm.

  5. Individuelle Verifizierbarkeit: gibt eine Stimmberechtigte in der Schweiz ihren Stimmzettel elektronisch ein, wird sie vor der definitiven Stimmabgabe aufgefordert, die Prüfcodes zu vergleichen. So kann sie sicherstellen, dass ihre Stimme in der elektronischen Urne ankommt, wie beabsichtigt. In Estland können Stimmberechtigte die Korrektheit ihrer Stimme ebenfalls prüfen. Diese Prüfung erfolgt nach der Stimmabgabe in einer separaten App.

  6. Systemanbieter: In Estland kümmert sich der Staat um die Weiterentwicklung und den Betrieb des E-Voting-Systems. In der Schweiz besteht ein freier Wettbewerb. Die Schweizerische Post ist aktuell die einzige Anbieterin eines E-Voting-Systems in der Schweiz.

 

 

Weitere Unterschiede zwischen den beiden Ländern sind im demokratischen System begründet: Während in der Schweiz jährlich vier eidgenössische Abstimmungen stattfinden und Stimmberechtige auf kantonaler sowie kommunaler Ebene an weiteren Gelegenheiten wählen oder abstimmen, gibt es in Estland keine Abstimmungen über Sachvorlagen, sondern die demokratische Mitbestimmung und damit die E-Voting-Einsätze beschränken sich auf Parlamentswahlen. In Estland besteht im Gegensatz zur Schweiz auch keine Möglichkeit zur brieflichen Stimmabgabe.

 

Nachstehend finden Sie die wichtigsten Unterschiede auf einen Blick.

 

 

Estland ΓÇô Schweiz de querformat

 

 

 

Wie steht die Schweiz im E-Government da im Vergleich zu Estland und weiteren europäischen Ländern?

 

Lesen Sie es in unserem Whitepaper:

 

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